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seit er Sorgfalt, Pflege, gutes Bett und zarte Kost genoß, spürte er deutlicher als zuvor, daß es mit ihm zu Ende gehe. Wenn ich noch ein Weile so liege, dachte er unmutig, dann komme ich nimmer auf. Es war ihm wenig mehr ums Leben zu tun, die Landstraße hatte in den letzten Jahren viel von ihrem Zauber verloren. Aber sterben wollte er nicht, ehe er Gerbersau wiedergesehen und allerlei heimlichen Abschied dort genommen hätte, von Fluß und Brücke, vom Marktplatz und vom einstigen Garten seines Vaters, und auch von jener Franziska. Seine späteren Liebschaften waren vergessen, wie denn überhaupt die lange Reihe seiner Wanderjahre ihm jetzt klein und unwesentlich erschien, während die geheimnisvollen Zeiten der Knabenschaft einen neuen Glanz und Zauber gewannen. Aufmerksam betrachtete er das einfache Gastzimmer; er hatte in vielen Jahren nicht so präch- tig gewohnt. Er studierte mit sachlichem Blick und tastenden Fingern das Gewebe der Bett- leinwand, die weiche, ungefärbte Wolldecke, die feinen Kissenbezüge. Auch der hartholzene Fußboden interessierte ihn, und die Photographie an der Wand, die den Dogenpalast in Vene- dig vorstellte und in Glasmosaik gerahmt war. Dann lag er wieder lange mit offenen Augen, ohne etwas zu sehen, müde und nur mit dem beschäftigt, was still in seinem kranken Leibe vorging. Aber plötzlich fuhr er wieder auf, beugte sich schnell aus dem Bett und angelte mit hastigen Fingern seine Stiefel her, um sie sorgfältig und sachkundig zu untersuchen. Gut waren sie nimmer, aber es war Oktober, und bis zum ersten Schnee würden sie noch aushalten. Und nachher war doch alles aus. Es kam ihm der Gedanke, er könnte Machold um ein paar alte Schuhe bitten. Aber nein, der würde nur mißtrauisch werden; ins Spital braucht man kein Schuhwerk. Vorsichtig tastete er die brü- chigen Stellen im Oberleder ab. Wenn das gut mit Fett behandelt wurde, mußte es mindestens noch einen Monat halten. Die Sorge war überflüssig; vermutlich würde dies alte Paar Schuhe ihn überdauern und noch im Dienste sein, wenn er selbst schon von der Landstraße ver- schwunden war. Er ließ die Stiefel fallen und versuchte tief zu atmen, es tat ihm aber weh und machte ihn hus- ten. Da blieb er still und wartend liegen, atmete in kleinen Zügen und hatte Angst, es möchte schlimm mit ihm werden, ehe er sich seine letzten Wünsche erfüllt hätte. Er versuchte an den Tod zu denken, wie schon manchmal, aber sein Kopf ermüdete daran und er fiel in Halbschlummer. Nach einer Stunde erwachend, meinte er tagelang geschlafen zu haben und fühlte sich frisch und still. Er dachte an Machold, und es fiel ihm ein, er müsse ihm ein Zeichen seiner Dankbarkeit dalassen, wenn er fortginge. Er wollte ihm eins von seinen Gedichten aufschreiben, weil der Doktor gestern einmal danach gefragt hatte. Aber er konnte sich auf keines ganz besinnen, und keines gefiel ihm. Durchs Fenster sah er im nahen Wald den Nebel stehen und starrte lange hinüber, bis ihm ein Gedanke kam. Mit einem Bleistiften- de, das er gestern im Hause gefunden und mitgenommen hatte, schrieb er auf das saubere weiße Papier, mit dem die Schublade seines Nachttisches ausgelegt war, einige Zeilen: Die Blumen müssenAlle verdorren,Wenn der Nebel kommt,Und die MenschenMüssen sterben,Man legt sie ins Grab. Auch die Menschen sind Blumen,Sie kommen alle wieder,Wenn ihr Frühling ist.Dann sind sie nimmer krank,Und alles wird verziehen. Er hielt inne und las, was er geschrieben hatte. Es war kein richtiges Lied, die Reime fehlten, aber es stand doch das darin, was er hatte sagen wollen. Und er netzte den Bleistift an den Lippen und schrieb darunter: »Für Herrn Doktor Machold, Wohlgeboren, von seinem dankba- ren Freunde K.« Dann legte er das Blatt in die kleine Schublade. Andern Tages war der Nebel noch dicker geworden, aber es war eine strengkühle Luft, und man konnte am Mittag auf Sonne hoffen. Der Doktor ließ Knulp aufstehen, da er flehentlich danach verlangte, und erzählte, daß im Gerbersauer Spital Platz für ihn sei und er dort erwar- tet werde. »Da will ich gleich nach dem Mittagessen marschieren,« meinte Knulp, »vier Stunden brau- che ich doch, vielleicht fünf.« »Das fehlt noch!« rief Machold lachend. »Fußwandern ist jetzt nichts für dich. Du fährst mit mir im Wagen, wenn wir sonst keine Gelegenheit finden. Ich schicke einmal zum Schulzen hinüber, der fährt vielleicht mit Obst oder mit Kartoffeln in die Stadt. Auf einen Tag kommt es jetzt auch nimmer an.« Der Gast fügte sich, und als man erfuhr, daß morgen der Schulzenknecht mit zwei Kälbern nach Gerbersau fahre, wurde beschlossen, Knulp sollte mit ihm fahren. »Einen wärmeren Rock könntest du aber auch brauchen,« sagte Machold, »kannst du einen von mir tragen? Oder ist der zu weit?« Er hatte nichts dagegen, der Rock wurde geholt, probiert und gut befunden. Knulp aber, da der Rock von gutem Tuch und wohlbehalten war, machte sich in seiner alten Kindereitelkeit sogleich daran, die Knöpfe zu versetzen. Belustigt ließ ihn der Doktor machen und gab ihm noch einen Hemdkragen dazu. Am Nachmittag probierte Knulp in aller Heimlichkeit seine neue Kleidung, und da er nun wieder so gut aussah, begann es ihm leid zu tun, daß er sich in der letzten Zeit nicht mehr ra- siert hatte. Er wagte nicht, die Haushälterin um des Doktors Rasierzeug zu bitten, aber er kannte den Schmied im Dorf und wollte dort einen Versuch machen. Bald hatte er die Schmiede gefunden; er trat in die Werkstatt und sagte den alten Handwerks- gruß: »Fremder Schmied spricht um Arbeit zu.« Der Meister sah ihn kalt und prüfend an. »Du bist kein Schmied,« sagte er gelassen. »Das mußt du einem andern weismachen.« »Richtig,« lachte der Landstreicher. »Du hast noch gute Augen, Meister, und doch kennst du mich nicht. Weißt du, ich bin früher Musikant gewesen, und du hast in Haiterbach manchen Samstagabend zu meiner Handorgel getanzt.« Der Schmied zog die Augenbrauen zusammen und tat noch ein paar Stöße mit der Feile, dann führte er Knulp ans Licht und sah ihn mit Aufmerksamkeit an. »Ja, jetzt weiß ich,« lachte er kurz. »Du bist also der Knulp. Man wird halt älter, wenn man sich so lang nicht sieht. Was willst du in Bulach? Auf einen Zehner und auf ein Glas Most soll s mir nicht ankommen.« »Das ist recht von dir, Schmied, und ich nehm s für genossen an. Aber ich will was anderes. Du könntest mir dein Rasiermesser für eine Viertelstunde leihen, ich will heut abend zum Tanzen gehen.« Der Meister drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Du bist doch ein Lugenbeutel, ein alter. Ich meine, mit dem Tanzen wirst du s nimmer wich- tig haben, so wie du aussiehst.« Knulp kicherte vergnügt. »Du merkst doch alles! Schad, daß du kein Amtmann geworden bist. Ja, ich muß also morgen ins Spital, der Machold schickt mich hin, und da wirst du begreifen, daß ich nicht so wie ein Zottelbär antreten mag. Gib mir das Messer, in einer halben Stunde hast du s wieder.« »So? Und wo willst du denn hin damit?« »Zum Doktor hinüber, ich schlafe bei ihm. Gelt, du gibst mir s?« Das schien dem Schmied nicht sehr glaubwürdig. Er blieb mißtrauisch.
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