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auch nur annähernd in Erwägung ziehen, mich zu verlassen, nach dem, was zwischen uns ist? Habe ich nicht etwas mehr verdient, als wortlos von dir verlassen zu werden? Respekt etwa?« Oh Mann, er ist wirklich sauer! Ich verkneife mir die Frage, ob ihm irgendetwas auffällt. Vielleicht die Kleinigkeit, dass er mich vor zehn Jahren auch einfach so ver- ließ? Ein bisschen mehr Schmusen vorher, na gut, aber unterm Strich war das Ergebnis doch dasselbe: Schmerz! Langsam werde auch ich sauer. »Du redest von Respekt? Was ist mit Respekt vor meiner Privatsphäre? Wie hast du überhaupt von dieser Sache erfahren?« Ich versuche mich nicht in die Defensive drängen zu lassen. »Das, mein Schatz, hast du ganz allein selbst zu verantworten. An mich wurde auto- matisch eine E-Mail deiner Freundin Maggie 142/183 weitergeleitet, in der sie dir schrieb, dass alles gut wird und sie dich am Flughafen in Hamburg abholen wird. Da sie dir auf deine E-Mail geantwortet hat, fand ich deine Aus- gangsmail im Anhang. Mehr brauche ich dir wohl nicht zu erklären. Es lag nicht in mein- er Absicht zu schnüffeln, ich wurde ja geradezu mit der Nase darauf gestoßen.« Verdammt, die E-Mail-Weiterleitung, die hatte ich selbst eingerichtet. »Dann habe ich Linda gefragt, ob sie dich gesehen hat, aber sie sagte, du seist zur Mit- tagspause. Um halb vier nachmittags?! Als ich George anrief, erzählte er mir, dass er dir ein Taxi gerufen hat und du mit deinem Gepäck weggefahren wärst. Also bin ich dir zum Flughafen gefolgt und habe am Gate Stellung bezogen, um dich abzufangen. Ich hatte solche Angst, dich zu verpassen.« Meine Gedanken kreisen er hat meine E-Mail an Maggie gelesen. Er weiß also, wie ich für ihn empfinde und ich frage mich, 143/183 warum er nicht versteht, dass ich das alles nur für ihn tue. Und etwas anderes wird mir auch in diesem Augenblick Glasklar: Er weiß von den Kindern! Der Feierabendverkehr ist tierisch und wir brauchen fast zwei Stunden, bis wir wieder in seiner Wohnung sind. George verzieht keine Miene, als ich plötzlich im Foyer des Appartementhauses an Pauls Seite wieder auftauche. Nur diesmal trägt Paul meine Sachen. George grüßt uns freundlich und or- dert einen Fahrstuhl. Die Kühle der klimatisierten Wohnung ist eine Wohltat nach der Schwüle des Tages. Ohne Umschweife bringt Paul alles in sein Schlafzimmer. »Du kannst direkt in unserem Zimmer auspacken«, sagt er mit Nachdruck, dann lässt er mich allein und zückt im Hinausge- hen sein Handy. Resigniert lasse ich mich auf das große Bett fallen. Das Bett, in dem Paul mich heute 144/183 Morgen noch geliebt hat, und von dem ich annahm, dass ich es wie alles andere nicht wiedersehen würde. Wenn ich mich nicht augenblicklich aufraffe, schlafe ich auf der Stelle ein, also beginne ich wieder auszupacken und ziehe mir bequeme Kleidung an. Yogahose und ein kurzes Shirt sollten reichen. Ich mache mich auf die Suche nach Paul und finde ihn in seinem Arbeitszimmer. Er sitzt an seinem Schreibtisch und kritzelt Strichmännchen auf ein Blatt Papier, während er in sein Handy spricht. Er blickt mich kurz an, als ich den Raum betrete. »Okay, see you tomorrow. I ll talk to Hanna.« Er beendet das Gespräch. »Mit wem hast du gesprochen?« Ich hoffe inständig, dass es nicht Kinsley war. Er rückt mit dem Schreibtischstuhl ein wenig von dem Tisch ab, um mehr Platz zu haben. »Komm zu mir.« 145/183 Langsam bewege ich mich auf ihn zu und klettere zum guten Schluss auf seinen Schoß. Zärtlich fährt er mit der Hand über mein Haar und streicht mir eine Strähne hinter das rechte Ohr. »Das war sehr unüberlegt von dir. Ich möchte, dass du mir vertraust, dass wir uns gegenseitig vertrauen können, doch das funktioniert nur, wenn wir ehrlich zueinander sind. Hättest du mich verlassen wollen, weil du mich nicht liebst, könnte ich das verstehen, aber einfach abzuhauen, um mich vor einem Mistkerl wie Kinsley zu beschützen, ist reiner Schwachsinn.« »Ich wollte doch nur nicht, dass ich dir dieses wichtige Geschäft vermassele. Es ist ein fünfundzwanzig Millionen Dollar Deal, wie kann ich da annehmen, dass dir das nicht wichtig ist? Kinsley wird dich ruinieren.« Paul schüttelt ungläubig den Kopf. »Aber weißt du denn nicht, dass du mir wesentlich- er wichtiger bist, als jeder Deal der Welt? 146/183 Wie könnte ich die Liebe meines Lebens ge- gen ein Geschäft eintauschen?« Verwirrt starre ich auf seinen Mund, den gerade diese Worte verließen, denen ich kaum Glauben schenken kann. »Das ist nicht dein Ernst?« »Natürlich, mein Schatz, das ist mein Ernst. Wie kannst du nur an meinen Worten zweifeln, nach diesen wundervollen Tagen und Nächten, die wir zusammen verbracht haben? Hat dir das denn gar nichts bedeutet?« Ich beiße mir auf die Unterlippe, weil ich nicht weiß, wie ich ihm erklären soll, was ich für ihn empfinde. »Paul, natürlich, diese Tage haben mir alles bedeutet. Nur hatte ich immer im Hin- terkopf, dass ich dich vor Kinsley beschützen muss. Wenn er dir den Auftrag entzieht, kön- nte dies großen Schaden anrichten, für den ich nicht verantwortlich sein will.« 147/183 »Kinsley kann uns gar nicht schaden, selbst wenn er den Auftrag anderweitig ver- gibt, Hanna. Wir sind nicht auf ihn angew- iesen. Unser Ruf in der Branche ist hervorra- gend, allein durch so großartige Mitarbeiter wie dich. Wenn er abspringt, steht ein Dutzend neuer Kunden Schlange. Die Firma ruht auf einem soliden Fundament, ich habe mein Vermögen weit gestreut angelegt, du musst dir keine Sorgen um mich machen. Zumindest nicht, was das Finanzielle betrifft. Wenn du mich allerdings wirklich verlassen solltest, würde das Ganze schon etwas an- ders aussehen. Mein angeschlagenes Herz würde das nicht überstehen.« Zum ersten Mal nach gefühlten hundert Tagen kann ich unbeschwert auflachen. »Das kann ich natürlich auf keinen Fall zu- lassen. Also bin ich an dich gebunden, allein um dein geschundenes Herz zu schonen.« Ich ziehe seinen Kopf zu mir und küsse ihn auf die Lippen. 148/183 »Mach das nie wieder, hörst du, Hanna? Lauf nie wieder vor mir weg«, flüstert er und ich nicke zur Bestätigung. »Übrigens, ich habe gerade mit Michael gesprochen, wir beide, er und ich, werden morgen bei dem Gespräch mit Kinsley an- wesend sein.« »Wirklich?«, frage ich etwas unsicher. »Michael ist der gleichen Meinung, dass man so einem Schwein wie Kinsley das Handwerk legen muss.« Wow, ich kann nicht anders und küsse Paul leidenschaftlich, bis er mich sanft von sich schiebt. »Hanna, sag mal, wann wolltest du mir ei- gentlich von den Kindern erzählen?« Upps! Diese Frage stellt Paul so ganz nebenbei, ich muss erst einige Sekunden darüber nachdenken, bis mir die Bedeutung klar wird. 149/183 »Ich & ähm & «, ich bin und bleibe vorerst sprachlos. »Warum hast du es mir nicht gesagt?« Er hebt mich von seinem Schoß und zieht mich an der Hand ins Wohnzimmer. »Setz dich«, weist er mich an und ich habe das Gefühl, nun Paul Westen, dem Chef, ge- genüberzusitzen. Er schenkt zwei Gläser Wein ein und reicht mir eines. Allerdings setzt er sich nicht zu mir, sondern schreitet langsam das Wohnzimmer ab. »Ich dachte, du wüsstest es bereits, es steht in meiner Personalakte«, wage ich ein- en Vorstoß, wenn auch einen kläglichen. »Nein, ich wusste es nicht. Ich habe erst in dieser E-Mail davon erfahren. Wie alt sind deine Kinder?« Oh man, das kann jetzt sehr hässlich werden. »Neun Jahre«, meine Stimme bricht. »Und das andere Kind?« 150/183 »Auch neun. Es sind Zwillinge. Ein Mäd- chen und ein Junge.« »Wie sind ihre Namen?« »Emely und Jonah.« Einen Moment ist Paul still, setzt seinen Weg aber durch das Wohnzimmer fort. Ich sehe förmlich vor mir, wie es in seinem Kopf arbeitet und er eins und eins zusammenzählt. »Deshalb also der Kaiserschnitt?«, fragt er geradeheraus. Meine Hand wandert schützend in meinen Schoß, als könnte ich die Narbe unter meinem Shirt damit verschwinden lassen. »Ja, Zwillinge werden des Öfteren mit einem Kaiserschnitt geboren, die Geburt ist alles andere als einfach, auch wenn es keine Komplikationen gibt.« Ich traue mich nicht, ihm in die Augen zu schauen, denn ich kön- nte dort etwas entdecken, was mir ganz und gar nicht gefallen würde. 151/183
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